Fragen zum Kündigungsmoratorium nach dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz-, und Strafverfahrensrecht

Mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz-, und Strafverfahrensrecht vom 27.03.2020 wurde das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) um einen Art. 240 ergänzt, nach dessen § 2 das Kündigungsrecht des Vermieters bei Wohn- und Gewerbemietverhältnissen eingeschränkt wurde wie folgt:

    

Sowohl für Vermieter als auch für Mieter stellen sich damit zahlreiche Fragen, die dieser Beitrag beantworten soll. Die Fragen entstammen der täglichen Praxis des Autors und werden nach Bedarf aktualisiert. Nachdem zu diesem Thema bislang keine Rechtsprechung vorliegt, entsprechen die Antworten der persönlichen Rechtsmeinung des Verfassers und können eine individuelle Rechtsberatung im Einzelfall nicht ersetzen.

Für welche Mietverhältnisse gilt die Regelung?
Art. 240 § 2 EGBGB gilt für alle Miet- und Pachtverhältnisse, gleich ob sie Wohnraum, Gewerberaum oder Grundstücke betreffen, unabhängig davon, wann der Miet-/Pachtvertrag abgeschlossen wurde und unabhängig davon, ob dieser vom hiesigen Gesetz abweichende Regelungen enthält.

Welche Folgen hat die Nichtzahlung der Mieten für den Mieter?
Wird die Miete durch den Mieter nicht oder nicht rechtzeitig bezahlt, entfällt für den Vermieter lediglich die Möglichkeit der Kündigung wegen Zahlungsverzugs nach § 543 II Nr. 3. BGB wegen der für den Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.06.2020 geschuldeten drei Monatsmieten, d.h. diese Rückstände werden bei der Berechnung eines solchen Kündigungsrechts nicht berücksichtigt. Das Gesetz stellt ausdrücklich klar, dass sonstige Kündigungsrechte unberührt bleiben.

Dies bedeutet, dass

  • der Mietzins dem Grunde nach nach wie vor geschuldet ist und vom Vermieter mittels Zahlungsklage geltend gemacht werden könnte
  • ab dem gesetzlichen (oder vertraglich vereinbarten) Fälligkeitstermin Verzugszinsen auflaufen. Diese betragen derzeit bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher beteiligt ist (in der Regel Wohnraum) 4,12%, andernfalls 8,12% jährlich;
  • wegen anderer Tatbestände seitens des Vermieters durchaus gekündigt werden kann, insbesondere wegen Zahlungsrückständen außerhalb des privilegierten Zeitraums.

Kann der Vermieter rückständige Mietzinsen gerichtlich geltend machen?
Die aktuelle gesetzliche Regelung schließt nur die Kündigungsmöglichkeit des Vermieters aus, lässt den Zahlungsanspruch per se aber unberührt. Somit wäre eine Klage des Vermieters gegen den Mieter auf Zahlung des Mietzinses einschließlich etwaiger Verzugszinsen begründet. Dies wurde bei der Konzeption des Gesetzes möglicherweise übersehen. Ob Gerichte entsprechend entscheiden oder ob der Gesetzgeber das Gesetz nachbessert, ist offen.

Kann der Vermieter bei Mietzinsrückständen die Mietsicherheit in Anspruch nehmen?
Der Anspruch auf Zahlung der Miete wird auch im privilegierten Zeitraum 04 bis 06/2020 fällig. Das Gesetz schließt nur die Kündigungsmöglichkeit des Vermieters aus. Deshalb kann der Vermieter die Mietsicherheit in Anspruch nehmen, da sie Ansprüche des Vermieters während des laufenden Mietverhältnisses sichert, wenn diese nicht streitig sind (BGH-Urteil vom 07.05.2014, VIII ZR 234/13). Der Mieter ist auch verpflichtet die Kaution „wieder aufzufüllen“, § 240 BGB. Ob dem Vermieter ein Kündigungsrecht zusteht, wenn der Mieter mit der erneuten Sicherheitenstellung in Verzug gerät, ist offen, dürfte nach dem Sinn und Zweck des Art. 240 § 2 (1) EGBGB aber wohl zu verneinen sein.

Kann der Vermieter mit seinen Mietzinsansprüchen für die privilegierten Monate aufrechnen gegen Betriebskosten-Guthaben des Mieters aufrechnen?
Nachdem das Gesetz den Mietzinsanspruch selbst unberührt lässt und dem Vermieter nur die Kündigungsmöglichkeit nimmt, ist der Mietzinsanspruch des Vermieters entstanden und fällig. Somit ist eine Aufrechnung mit diesen Forderungen des Vermieters gegen bestehende und fällige Forderungen des Mieters (z.B. Guthaben aus Betriebskostenabrechnungen vergangener Jahre) möglich.

Muss der Mieter für den privilegierten Zeitraum zumindest den Betriebskostenabschlag leisten?
Das Gesetz verbietet die Kündigung wegen Nichtzahlung der „Miete“ im Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.06.2020. Unter „Miete“ im Sinne des § 535 BGB ist jede Geldleistung des Mieters an den Vermieter, also auch die Zahlung für Heiz- und Betriebskosten zu verstehen. Mit dem in § 543 II Nr. 3 BGB definierten Zahlungsrückstand ist die Mietzahlung unter Einschluss der laufenden Nebenkosten gemeint (BGH-Urteil vom 23.07.2008, XII ZR 134/06). Damit sind bei der Berechnung einer Kündigungsmöglichkeit des Vermieters auch die für die privilegierten Monate geschuldeten Betriebskostenabschläge nicht zu berücksichtigen.

Wann „beruht“ die Nichtleistung der Miete „auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“?
Nach dem Wortlaut des Gesetzes („beruht“) genügt ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den „Auswirkungen“ der Pandemie und der „Nichtleistung“. So gesehen, wäre ein Mieter auch dann privilegiert, wenn er zwar wirtschaftliche Auswirkungen der Pandemie erfährt, jedoch über ausreichende liquide Mittel zur Zahlung des Mietzinses verfügt, denn das Gesetz verlangt explizit nicht, dass eine „Leistungsunfähigkeit“ (oder Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit) des Mieters durch die Auswirkungen der Pandemie gegeben ist, sondern lediglich, dass die „Nichtleistung“ als solche ihre Ursache in den Auswirkungen der Pandemie hat. So gesehen, würde die unternehmerische Entscheidung, trotz ausreichender Liquidität, Ansprüche des Vermieters nicht zu bedienen, genügen, um diesem die Möglichkeit der Kündigung zu nehmen.

Ob diese Interpretation des Gesetzes einer gerichtlichen Überprüfung standhält, ist offen. Nach der Gesetzesbegründung soll Art. 240 § 2 (1) EGBGB eine zeitlich begrenzte Ausnahme von dem Grundsatz darstellen, dass eine Leistungsunfähigkeit aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten den Schuldner nicht von den Folgen des Ausbleibens der rechtzeitigen Leistung befreit (BGH-Urteil vom 04.02.2015, VII ZR 175/14). Die jetzige Ausnahme soll Mieter schützen, die „in Folge des Ausmaßes der wirtschaftlichen Einbußen (…) nicht in der Lage (sind), die Miete (…) fristgerecht zu bezahlen.“ Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen nur Mieter, die in Folge der Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, privilegiert werden (was im Rechtsstreit durch den Mieter darzulegen und zu beweisen wäre).

Ist der Zusammenhang zwischen Pandemie und Nichtzahlung der Miete nachzuweisen?
Das Gesetz verlangt die „Glaubhaftmachung“ des Zusammenhangs der zwischen Pandemie und Nichtleistung. Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) bedeutet eine erleichterte Beweisführung, zu der eine eidesstattliche Versicherung oder die Darlegung von Tatsachen, aus denen sich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dieses Umstandes ergibt, genügt. Nach der Begründung des Gesetzes sollen neben der Versicherung an Eides statt bei Wohnraummietern die Vorlage einer Bescheinigung über die Gewährung staatlicher Leistungen, einer Bescheinigung des Arbeitgebers oder andere Nachweise über einen Verdienstausfall ausreichen. Bei Mietern von gewerblichen Immobilien soll zur Glaubhaftmachung sogar der bloße Hinweis auf eine am Ort des Mietobjekts geltende Rechtsverordnung oder behördliche Verfügung, mit der der Betrieb des Unternehmens untersagt oder erheblich einschränkt worden ist, ausreichen.

Für gewerbliche Mieter bedeutet dies, dass es zur Glaubhaftmachung bereits genügt, auf die entsprechende Rechtverordnung oder Allgemeinverfügung des jeweiligen Bundelandes Bezug zu nehmen, wenn diese den Betrieb des Unternehmens (auch nur temporär, aber doch „erheblich“) beeinträchtigt. Dies muss im Einzelfall je nach Branche und Formulierung der Rechtsverordnung/Allgemeinverfügung geprüft werden.

Aus der Gesetzbegründung, die sowohl die „behördliche Untersagung“, als auch die „erhebliche Einschränkung des Betriebs“ als ausreichend betrachtet, folgt, dass die jeweilige Rechtsverordnung/Allgemeinverfügung nicht den Betrieb als solchen (z.B. Gastronomie siehe Allgemeinverfügung Bayern 20.03.2020) untersagen muss, sondern mittelbare Auswirkungen genügen (z.B. Ausgangsbeschränkungen führen zu Umsatzeinbußen).

Muss der Mieter die Einstellung der Mietzahlungen ankündigen oder begründen?
Das Gesetz verlangt für den Entfall des Kündigungsrechts keine Erklärung des Mieters, mit der die Nichtzahlung der Miete angekündigt oder gerechtfertigt wird. Es genügt, dass der Mieter (im Streitfall über eine etwaige Kündigung des Vermieters) den Zusammenhang zwischen Pandemie und Nichtleistung glaubhaft machen kann.

Zur Vermeidung eines unnötigen Rechtsstreits empfiehlt sich allerdings bereits vor oder bei Aussetzung der Mietzahlung, dem Vermieter den Grund der Nichtzahlung unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung zu nennen.

Wie lange gilt das Kündigungsverbot?
Nach der bisherigen Fassung des Gesetzes gilt der Ausschluss des Kündigungsrechts bis 30.06.2022. Sind Einbehalte der Miete 04-06/2020 durch den Mieter bis zu diesem Zeitpunkt nicht nachbezahlt, kann der Vermieter wegen diesem damaligen Zahlungsverzug kündigen. Das Gesetz sieht allerdings vor, dass die Bundesregierung durch Rechtsverordnung die Kündigungsbeschränkung auf Zahlungsrückstände erweitern kann, die im Zeitraum vom 01.07.2020 bis 30.09.2020 entstehen.

 

© Dr. Rudolf Meindl, 03.04.2020